Die Zukunft im Kundenservice: Automatisierte E-Mails, die Sinn ergeben

News 06/2022 – Aequitas Software

Die E-Mail-Flut
im Kundenservice beherrschen

In vielen Unternehmen ist es Alltag: Hunderte bis tausende von Kundenanfragen warten täglich darauf, beantwortet und bearbeitet zu werden. Von der Adress- oder Kontoänderung über Kündigungen bis hin zu Fragen zu Produkten und Dienstleistungen. Aufgrund des großen Volumens ist die Bearbeitung für Unternehmen nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv.

Die Idee, diese Anfragen automatisiert zu beantworten und damit die Prozessoptimierung im Kundenservice zu steigern, ist nicht neu. Dennoch ist die praktische Umsetzung eine Herausforderung: Wenn z.B. ein Kunde schreibt, er setze eine letzte Frist zu Mängelbehebung, bevor er endgültig kündigt, ist die Botschaft für den menschlichen Bearbeiter klar.

Aber ist auch eine automatisierte Erkennung möglich? Denn kündigen möchte der Kunde in diesem Beispiel (noch) nicht, aber das Wort „kündigen“ taucht auf. Wie kann also eine Software erkennen, dass zwar von Kündigung die Rede ist, die Absicht des Absenders aber eine ganz andere ist?

Innovationspreis für cognesys-Lösung

Unser Partner cognesys hat hier eine Software-Lösung entwickelt, die genau das kann: E-Mails verstehen, in den richtigen Kontext bringen und die erforderlichen Prozesse zur Bearbeitung anzustoßen. Und dadurch eine spürbare Prozessoptimierung im Kundenservice zu sichern. Mit ihrer innovativen Lösung hat das Unternehmen es unter die Top 3 Innovatoren des deutschen Mittelstandes geschafft und ist mit dem Innovationspreis der Stadt Aachen, dem Firmensitz des Unternehmens, ausgezeichnet worden.

Im Interview mit Bernd Schönebeck, Gründer und Geschäftsführer der cognesys, und Frank Coërs, Geschäftsführer der Aequitas Software, sprechen wir über Möglichkeiten und Grenzen von RPA und KI.

Frei formulierte E-Mails automatisiert verstehen – wie geht das?

Bernd Schönebeck: Wir haben eine Natural Language Understanding (NLU) Plattform entwickelt, die aus einer semantischen Engine und einer umfangreichen Wissensbasis besteht, die beliebig und branchenspezifisch erweiterbar ist. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von Künstlicher Intelligenz (KI), wir bleiben allerdings gerne beim Begriff Semantik. Da unsere Lösung in der Lage ist, Sprache zu erkennen, kann man auch durchaus von KI sprechen.

Die NLU-Plattform ist in der Lage, sowohl frei formulierte Texte als auch gesprochene Sprache, die transkribiert – also in Text übersetzt wird – zu verstehen. Unsere Lösung denkt wie ein Mensch. Sie verknüpft die Begriffe miteinander und setzt sie in einen Kontext. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff „fallen“, für den es in der deutschen Sprache viele Ausprägungen gibt: ob Gläser auf den Boden fallen, Entscheidungen fallen oder Preise fallen sind völlig verschiedene Situationen. Das Wort „fallen“ hat im jeweiligen Kontext eine komplett andere Bedeutung. Unsere Lösung verknüpft die Begriffe miteinander und setzt sie in einen sinnvollen Zusammenhang.

Dadurch gelingt der Software eine eindeutige Interpretation auch bei komplexen Aussagen, über die selbst der Mensch ins Grübeln gerät, wie z.B.: „Hiermit widerrufe ich die Kündigung der Zusatzoption meines Vertrages“. Darüber hinaus werden auch grammatikalisch fehlerhafte Formulierungen, wie z.B. „schlecht Service nicht zahlen werden“ von unserer Software fehlerfrei verstanden.

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die automatische Auswertung von Umfragen zur Kundenzufriedenheit. Hier liegt die Herausforderung in der eindeutigen Zuordnung von bewertenden Aussagen zum den genannten Themen. Nehmen wir zum Beispiel eine Kundenäußerung wie z.B.: Der Kollege der Hotline war freundlich, konnte aber nicht wirklich helfen“. Hier liefert die Engine das Ergebnis: „Freundlichkeit positiv“ und „Kompetenz negativ“.

Diese kombinierte Anwendung der NLU-Plattform von cognesys bietet unseren Anwendern einen 360 Grad-Blick auf ihre Kunden und somit die die Möglichkeit, eine spürbare Prozessoptimierung im Kundenservice zu erreichen.

Was passiert mit eingehenden
E-Mails?

Bernd Schönebeck: Eingehende Kundenmails können auf mehreren Stufen automatisch verarbeitet werden. Stufe 1 ist das sog. „skill based routing“. In Call Centern werden teilweise die eingehenden E-Mails noch durch einen Mitarbeiter gesichtet und an die entsprechenden Stellen zur weiteren Verarbeitung weitergeleitet, wodurch jede Mail doppelt gelesen wird. Stufe 2 ist die automatische Auswahl passender Textbausteine aus dem E-Mail-Response System für den Bearbeiter bzw. Agent. Stufe 3 ist die vollautomatische Beantwortung von Kundenanliegen, ohne dass es der Mitwirkung eines Agents bedarf.

Unsere Lösung unterstützt alle 3 Automatisierungsstufen und ermöglicht so eine fallabschließende Bearbeitung der E-Mails. Zudem ist sie in der Lage, auch Mehrfachanliegen aus einer E-Mail eindeutig zu identifizieren.

Angenommen, es werden in der E-Mail mehrere Anliegen genannt, wie z.B. eine Adress- und eine Kontoänderung. In diesem Fall werden die beiden jeweils passenden Textbausteine automatisch ausgewählt und können als automatisierte Antwort-E-Mail versandt werden. Zudem wird die Umsetzung der Adress- und Kontoänderung im angeschlossenen System angestoßen, so dass das Anliegen abschließend bearbeitet ist.

Werden die To Do’s aus einer Kundenanfrage automatisiert bearbeitet?

Frank Coërs: Genau hier kommt die Verknüpfung von Cognesys mit Robotic Process Automation (RPA) bzw. Camunda ins Spiel. Cognesys verfügt über ein universell einsetzbares System der natürlichen Sprachverarbeitung. Bei großen Projekten wird die Lösung in die vorhandene Struktur integriert, die E-Mails werden z.B. aus einem E-Mail-Response System abgeholt, bearbeitet und an angeschlossene Systeme zur Bearbeitung weitergegeben.

Es gibt jedoch auch Kunden, denen diese Infrastruktur fehlt und die wir als IT-Lösungspartner unterstützen. Durch die Implementierung von RPA ist es zum Beispiel möglich, die Bearbeitung der einzelnen Fälle zu automatisieren und eine echte end-to-end Integration zu realisieren. Denn das Ziel ist es, nicht nur die E-Mail zu beantworten, sondern das Kundenanliegen zu erledigen, und zwar im Erstkontakt. Dadurch erreichen wir eine echte Prozessoptimierung im Kundenservice. Software Roboter übernehmen die automatisierte Bearbeitung in den entsprechenden Systemen – bei Bedarf in Dunkelverarbeitung – und dokumentieren genau, was sie tun.

Diese Automatisierung ist für alle IT-basierten Prozesse möglich, die standardisierten Regeln folgen. Von der Anpassung der Adresse bis hin zur Bearbeitung einer Kündigung. Und sie ist relativ schnell und kostengünstig implementiert, so dass RPA nicht nur für große Unternehmen interessant ist. Alternativ nutzen einige Kunden das Workflow-Management-System Camunda, das ebenfalls eine end-to-end Bearbeitung ermöglicht.

Wie sehen klassische Anwendungsfälle in der Praxis aus?

Bernd Schönebeck: Bei der Provinzial Versicherung hat cognesys die Bearbeitung der Kündigungen der Kfz-Versicherungen übernommen. Insbesondere im Herbst wechseln viele Leute ihre Kfz-Versicherung. Um dieses Peak abzufangen, musste die Versicherung in dieser Zeit temporär 4 zusätzliche Mitarbeiter abstellen.

Die Herausforderung in diesem Projekt bestand darin, die eingehenden E-Mails richtig zu verstehen. Droht der Kunde nur mit Kündigung? Kündigt er tatsächlich? Hat er bereits gekündigt und möchte lediglich eine Bestätigung der Kündigung? Oder erkundigt er sich nur nach den Kündigungsfristen? Die cognesys-Lösung ist derzeit die einzige Lösung am Markt, die diese sprachlichen Feinheiten zuverlässig und richtig interpretiert.

Aus den eingehenden E-Mails, die alle frei formuliert sind, ziehen wir diejenigen raus, die mit der fristgerechten Kfz-Kündigung zu tun haben. Wir extrahieren die Metadaten wie Vertragsnummer und Laufzeit und machen dann einen Abgleich mit der Kundendatenbank zur Verifizierung der Daten. Wenn alles passt, wird die automatisierte Bearbeitung mit dem Workflow-Management-System Camunda ausgelöst.

Ein weiteres Beispiel ist unser Projekt bei DPDDHL. Unsere Lösung ist dort Teil des Programms zur Digitalen Transformation von „Finance Operation Germany & Alps“. Bei der DPDHL-Group verarbeiten wir in der DACH-Region monatlich ca. 50.000 eingehende E-Mails. Wir ordnen diese E-Mails bis zu 30 unterschiedlichen Themen zu und extrahieren – sofern möglich – die Metadaten, um die automatisierte Weiterverarbeitung im SAP-CRM-System zu ermöglichen. Um eine vollständige end-to-end Integration zu erreichen, wurde die cognesys-Lösung hier mit RPA verknüpft.

Wie hoch ist die Trefferquote bei den automatisierten Antworten?

Bernd Schönebeck: Die Dunkelverarbeitung, d.h. eine automatisierte, fallabschließende Bearbeitung ohne Eingreifen eines menschlichen Mitarbeiters, liegt im Provinzial-Projekt mittlerweile bei 85%. Seit Beginn des Projektes im Jahr 2017 sind lediglich 3 Fehler aufgetreten, in denen E-Mails falsch interpretiert wurden. Bezogen auf das Gesamtvolumen haben wir eine Trefferquote von nahezu 100%.

15% der eingehenden E-Mails werden weiterhin an einen Agenten weitergleitet, überwiegend weil Kundendaten fehlen. Diese Quote könnte man durch den Einsatz eines Chat-Bots, der die fehlenden Daten direkt abfragt, weiter steigern.

Wenn der Provinzial- Use Case exemplarisch für eine fallabschließende Vorgangsbearbeitung eines komplexen Sachverhaltes steht, haben wir bei unserem Kunden Vodafone mittlerweile das gesamte inhaltliche Spektrum der eingehenden Kundenmails im Privatkundenbereich abgedeckt. Der Inhalt jeder eingehenden E-Mail wird automatisch erkannt und die Kundenanliegen werden in 496 unterschiedliche Prozesse ausgesteuert. Das betrifft ca. 93% des Gesamtvolumens von mehr als 1 Million E-Mails im Jahr.

Wie viel Zeit spart der Kundenservice?

Bernd Schönebeck: Das hängt natürlich sehr stark von der gewählten Automatisierungsstufe ab und damit von der vorhandenen Infrastruktur beim Kunden. Bei der fallabschließenden automatischen Bearbeitung liegt die Zeitersparnis bei bis zu 100%.

Werden lediglich Antwortvorschläge für die Mitarbeiter im Kundenservice generiert und diese übernehmen das finale Formulieren der E-Mail sowie die Bearbeitung, ist die Zeitersparnis natürlich geringer.

Wie wird eine Dunkelverarbeitung möglich?

Frank Coërs: Bei komplexen Prozessen ist eine Dunkelverarbeitung, also die Verarbeitung ohne Eingreifen eines menschlichen Mitarbeiters, nicht immer möglich. Hier lohnt es sich jedoch, gemeinsam mit dem Kunden die einzelnen Prozesse zu analysieren und in Teilprozesse aufzusplitten. Viele dieser Teilprozesse können durchaus in Dunkelverarbeitung bearbeitet werden.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist dabei nicht notwendigerweise Automatisierungserfahrung, aber eine fundierte IT- und Prozesskenntnis.

Ist die Lösung für alle Unternehmen geeignet?

Bernd Schönebeck: Ja, unsere Lösung ist generell für alle Branchen geeignet. cognesys stellt eine umfangreiche allgemeine Wissensbasis zur Verfügung. Diese enthält bereits viele Themen-Templates. Es gibt natürlich in jedem Unternehmen zusätzlich ein spezielles Wording hinsichtlich Produkten, Dienstleistungen und Tarifen. Diese kundenspezifische Wissensbasis wird im Rahmen der konkreten Projekte von cognesys einmalig für jeden Kunden angelegt. Über ein spezielles Software-Tool können die Fachabteilungen diese kundenspezifische Wissensbasis selbständig pflegen und erweitern.

Aus diesem Grund ist die Lösung für kleine und mittelständische Unternehmen ebenso geeignet wie für große Konzerne. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt sich der Einsatz der cognesys-Lösung ab einem Volumen von ca. 300 – 500 Mails pro Tag.

Wie läuft ein Projekt ab?

Bernd Schönebeck: Zum Projektstart brauchen wir etwa 200 E-Mails als sog. Positivmenge, um ein Thema für die automatische Erkennung zu konfigurieren. Bei sehr komplexen Themen kommt evtl. eine 2. Iteration mit weiteren 200 Mails hinzu.  Nach 1-2 Iterationen sind die Themen in der Regel sehr gut erkennbar. Mit unserem Kunden vereinbaren wir dann die Trefferquote. Diese ist bei Dunkelverarbeitung natürlich eine andere als bei dem einfachen Routing der E-Mails. 4-6 Wochen nach Projektstartsind die ersten Themen normalerweise bereit, live zugehen.

Im Laufe der Zeit kommen in der Regel weitere Themen hinzu. Diese können einfach integriert werden, der Pflegeaufwand ist relativ gering. Fachabteilungen können bei Bedarf nach einer kurzen Schulung auch selbst Themen aufbauen, denn der Umgang mit unserer Lösung erfordert kein spezielles IT-Know-How.

Ist die Lösung im Ausland einsetzbar?

Bernd Schönebeck: Unsere Lösung ist bereits in der EU und in den USA patentiert. An der englischsprachigen Lösung arbeiten wir gerade, unser Team ist momentan dabei, eine englischsprachige Wissensbasis aufzubauen. Das Sprachverstehen bzw. die Bedeutungs-Erkennung unserer Software basiert auf der Analyse von Begriffen – hier unterscheiden wir uns von einer Standard-KI, die in der Regel mit Zeichenketten bzw. Strings arbeitet.

Unsere Lösung verfügt über Schnittstellen zu automatisierten Übersetzungsprogrammen. Die eingehenden fremdsprachigen E-Mails werden zunächst automatisch übersetzt und dann in unserer Lösung weiterbearbeitet. Das funktioniert sehr gut für angeschlossene Auslandsniederlassungen. Hierzu wurde bereits ein erfolgreiches Pilotprojekt mit der Deutschen Post / DHL durchgeführt.

Ist cognesys in allen Kanälen einsetzbar?

Bernd Schönebeck: Ja, denn wir verfolgen mit unserer Software-Lösung den Omni-Channel-Gedanken. Egal ob E-Mail, Anruf, OCR-gescannte Dokumente, Nachrichten über Social Media oder den Chat – alle Kanäle greifen alle auf die gleiche Wissensbasis zu. Anrufe werden vor der Bearbeitung durch das System automatisch in Text übersetzt.

Der Vorteil unseres Omni-Channel-Ansatzes besteht in der Vermeidung von Doppeltickets. Wenn ein Kunde anruft und kurz danach noch eine E-Mail zum gleichen Anliegen schriebt, werden beide Anfragen im System zusammengeführt. Dadurch stellen wir eine identische Reaktion auf Kundenanliegen sicher, egal über welchen Kanal der Kunde kommt. Um dieses spürbare Level an Prozessoptimierung im Kundenservice zu erreichen, ist es allerdings in vielen Unternehmen zunächst erforderlich, das Silo-Denken aufzubrechen.

Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Kirsten Degner, Senior Marketing Managerin der Aequitas Software

Über cognesys

cognesys ist ein Hightech-Unternehmen und Spin-off der RWTH Aachen. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Erforschung des menschlichen Denkens hat das Unternehmen eine patentierte „State of the Art“-Technologie entwickelt, die Sprach- und Schriftinformationen automatisch erfasst, versteht und weiterverarbeitet. Die einzigartige semantische Technologie beruht auf Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Cognitive Sciences (Sprachpsychologie, Hirnforschung, Computerlinguistik).

cognesys Produkte optimieren die Kundenkommunikation vom Routing bis zur fallabschließenden Vorgangserledigung, erfassen die Kundenmeinungen auf allen Medienkanälen durch semantisches Text Mining und helfen bei der automatischen Steuerung von Techniksystemen auf Basis von Text oder Spracheingaben.

Über Aequitas Software

Als IT-Beratung begleiten wir seit 2015 Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse. Mit unserem qualifizierten 40-köpfigen Team bieten wir Projektunterstützung und IT-Beratung in anspruchsvollen IT-Projekten.

Unsere Schwerpunkte liegen in den Bereichen Software-Architektur, Software-Entwicklung, Software-Testing und Client Management. Gemeinsam mit etablierten Partnern bieten wir zudem innovative Software-Lösungen – von Robotic Process Automation (RPA) über die Elektronische Unterschrift bis hin zu Workflow Automation.

Aequitas Software gehört zur international tätigen Aequitas Group mit mehr als 450 international tätigen Beraterinnen und Beratern für Business und IT. So können wir unser Team in der IT-Beratung bei Bedarf jederzeit flexibel erweitern.